Inside IHK Frankfurt

„Wie ist es denn so bei der IHK?“
Ein Jahr in der IHK Frankfurt – Ein Insider-Report von Ingo Rütten
Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ich als Vertreter in die Vollversammlung der IHK-Frankfurt gewählt. Auf der Suche nach einem Ehrenamt, bei dem ich meine 22-jährige Erfahrung als Unternehmer und meine Begeisterung für die Stadt als Wahl-Frankfurter einbringen konnte, bin ich auf die IHK-Wahl aufmerksam geworden, habe kandidiert und wurde von den rund 100.000 wahlberechtigten Unternehmerinnen und Unternehmern Frankfurts in dieses Gremium gewählt. Danke nochmal für das Vertrauen!
Seitdem werde ich immer wieder gefragt: „Wie ist es denn so, bei der IHK?“. Nebenvielen persönlichen Antworten in individuellen Gesprächen möchte ich an dieser Stelle drei positive und drei kritische Eindrücke teilen – aus meinem ersten Jahr als gewähltes Mitglied der Vollversammlung und berufenes Mitglied im IHK-Ausschuss Wirtschafts- und Unternehmensberatungen.
Hohes Engagement aus allen Richtungen
Was mich in diesem Jahr besonders beeindruckt hat, war die Vielzahl an Gesprächen rund um die Vollversammlung, in Ausschusssitzungen und im informellen Austausch darüber hinaus. Immer wieder bin ich auf Menschen getroffen, die sich mit großem Engagement und Herzblut einbringen. Unabhängig davon, ob ich ihre wirtschafts- oder stadtpolitischen Positionen im Einzelfall teile, habe ich unzählige Persönlichkeiten erlebt, die sich ehrenamtlich, ohne persönlichen Vorteil und mit hohem zeitlichem Einsatz für die positive Entwicklung unserer Stadt und ein unternehmerfreundliches Klima in Frankfurt einsetzen. In Zeiten wachsender Politik- und Demokratieverdrossenheit gibt mir das Hoffnung. Denn auch die IHK Frankfurt ist ein aktiver Teil der lebendigen Zivilgesellschaft, auf die wir heute mehr denn je angewiesen sind.
Mehr Diversität als gedacht (und offensichtlich ist)
Das Bild, das mir von Geschäftsfreunden, Kolleginnen und Kollegen über die IHK Frankfurt spiegeln, ist oft überraschend einseitig – und ehrlich gesagt auch ein wenig trist. Wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass viele Pressebilder noch immer von den vielzitierten „alten weißen Männern in grauen Anzügen“ geprägt sind (ja, ich zähle wohl auch dazu – wenn auch meist ohne Anzug). Doch die Realität sieht ganz anders aus: In der IHK engagieren sich starke, hochmotivierte Frauen in der Vollversammlung und den Ausschüssen. Es sind Menschen mit vielfältigen Hintergründen, sehr junge ebenso wie seniore Mitglieder. Und statt grauer Anzüge begegnet man in der Realität deutlich häufiger Turnschuhen, Bomberjacken, bunten Kleidern und Hemden, als die Pressefotos vermuten ließen. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in den Meinungen, Perspektiven, Erfahrungen wider. Wäre es nicht schön, wenn all das künftig auch nach außen sichtbarer würde?
Überraschend aktuelle Leitwerte
Während viele Unternehmen und Verbände angestrengt auf der Suche nach einem „Purpose“ sind, haben die Industrie- und Handelskammern schon seit 1956 einen klaren Auftrag. Für die „Wahrung von Anstand und Sitte eines Ehrbaren Kaufmanns zu wirken“ ist bereits in § 1 des IHKG-gesetzlich festgeschrieben- ein früher und deutlicher Hinweis auf die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmertum. Und diese Verantwortung ist heute aktueller denn je. Ob es um Fragen der Nachhaltigkeit, des sozialen Engagements oder guter Unternehmensführung im Rahmen von Corporate Social Responsibility (CSR) geht – oder um neue Themen wie Corporate Digital Responsibility (CDR): Unternehmerisches Handeln hat immer auch eine Auswirkung auf die Gesellschaft.
Das im April 2025 von der Vollversammlung der IHK-Frankfurt einstimmig verabschiedete Positionspapier „Nachhaltiges Wirtschaften“ greift diesen Gedanken ausdrücklich auf. Es bezieht sich explizit auf die Werte der „Ehrbaren Kaufleute“ und formuliert eine klare Selbstverpflichtung: Die IHK Frankfurt wird mit aller Kraft dazu beitragen, Stadt und Region ökologisch, wirtschaftlich und sozial zukunftsfähiger und widerstandsfähiger zu gestalten. Zugleich ist das Papier ein schönes Beispiel für gelebte Partizipation: Die Expertise und Perspektiven zahlreicher IHK-Mitgliedern wurden in einem offenen Prozess gesammelt und unter der maßgeblichen Federführung von Dr. Alexandra von Winning, Vorsitzende des IHK-Ausschusses Nachhaltigkeit, zu einem gemeinsamen Papier gebündelt.
Neben diesen und weiteren positiven Eindrücken, die ich im letzten Jahr gewinnen konnte, gab es durchaus auch Aspekte, die mich nachdenklich gestimmt, und zum Teil auch überrascht haben.
Formalismen hemmen Diskussionsfreude
Die traditionsreiche Struktur der IHK ist zweifellos eine ihrer Stärken – doch genau darin liegt möglicherweise auch eine ihrer Schwächen. Während von der Politik allseits immer lauter Bürokratieabbau für die Wirtschaft gefordert wird, erscheint die IHK selbst vielfach von überkommenen Verbands-Formalismen geprägt. Langwierige Berichtsverlesungen, die gemäß Verbandsstatuten notwendig sind, allzu altbackene Redewendungen und uninspirierte Powerpoint-Präsentationen entfalten – so mein Eindruck – oft eine eher sedierende als aktivierende Wirkung.
Gerade die Vollversammlung hätte das Potential, ein Ort für lebhafte, auch kontroverse Diskussionen zu sein, die jedoch meist nur einen sehr geringen Teil der Sitzungszeit einnehmen. Auch die räumliche Gestaltung der „ehrwürdigen Hallen“ der IHK Frankfurt, mit ihrer an parlamentarische Strukturen erinnernden Plenarbestuhlung sowie die Sprechbeiträge über Platzmikrofone mögen zwar funktional sein, tragen aber kaum dazu bei die Diskussionsfreude zu steigern und möglichst niedrige Barrieren für Meinungsbeiträge zu setzen. Aber vielleicht ist das auch gewollt.
Selbst in Ausschusssitzungen mit weniger als zwanzig Personen wird dieses Setting fortgeführt. Dabei stelle ich mir oft die Frage: Welche Dynamik, welche Ideen könnten freigesetzt werden, wenn wir bewusst Räume für lebendigen Austausch eröffneten? Welche Impulse könnten von Versammlungen ausgehen, die sich eher an der Idee der Agora, des griechischen Marktplatzes orientieren – und von Überregulierung entschlackt wären? Wie viel Potenzial bleibt ungenutzt, wenn Rationalität nicht auch durch Freude an Gestaltung, Zukunftsbegeisterung und den Mut zur Veränderung ergänzt wird?
Frankfurter Unternehmer oft progressiver
Aus meiner Beratungspraxis kenne ich zahlreiche Unternehmen und Verbände aus Frankfurt und Hessen aus nächster Nähe. Was mich dabei immer wieder wundert: Viele von ihnen agieren deutlich progressiver als die IHK selbst. Sicher sind meine Mandanten nicht repräsentativ für die gesamte Frankfurter Wirtschaft- und doch erlebe ich hier oft deutlich mutigere Zukunftsvisionen.
Die Megatrends wie New Work, Nachhaltigkeit und Digitalisierung werden – nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Notwendigkeit – sehr schnell in den Alltag integriert. Agile Methoden, bei denen nicht von Anfang an die beste Lösung bekannt sein muss, gehören mittlerweile zum Standard. Innovationen – inklusive der Bereitschaft, auch einmal zu scheitern, wird nicht nur geduldet, sondern gefördert.
Im Gegensatz dazu, wirkt der Alltag in der Verbandsarbeit der IHK vergleichsweise vorsichtig und konservativ. Sicherheit und Kontinuität wird großgeschrieben– zweifelsohne wichtige Werte, die Orientierung und Stabilität geben. Eben diese Stabilität könnte Grundlage dafür sein, einmal neue Wege auszuprobieren, Impulse aufzunehmen, die nicht nur aus der Mitte kommen, sondern auch von den Rändern -von Andersmachenden und Vorangehenden. Heute fühlt sich die IHK Frankfurt für mich und viele meiner Gesprächspartner eher wie ein „Follower“ an, der den großen Entwicklungen hinterherläuft. Wäre es nicht viel spannender – und auch hilfreicher – wenn sie als progressiver Impulsgeber vorausgeht? Dass sie mutige Zukunftsvisionen unserer Stadt entwirft – für Unternehmen, Politik und Gesellschaft – und damit in der komplexen Welt- und Wirtschaftslage den so dringend notwendigen Optimismus stiftet?
Mehr Austausch wagen
Die Stärke der IHK Frankfurt liegt ganz in ihrer engen Vernetzung zur Politik – hier ist sie eine gewichtige und ernst genommene Stimme der Unternehmen und initiiert partei- und branchenübergreifenden Dialog. Eine wesentliche Chance könnte aber noch darin liegen, die IHK auch für andere Stakeholder zu öffnen. Zivilgesellschaftliche Gruppen, NGOs, Verbraucher, Kunden könnten noch viel stärker und partizipativer in die Meinungsbildung der IHK einbezogen werden. Profitieren könnten davon alle Seiten: die vielfältigen Interessensgruppen ebenso wie die Unternehmen, durch ein besseres Verständnis von Bedürfnissen und Chancen der Bürger. Und nicht zuletzt die IHK selbst, durch ein vielfältiges und vollständigeres Bild der Stadtgesellschaft und damit eine noch breitere Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in ihren Positionen.
Mein Zwischenfazit nach einem Jahr
Ich bin froh und dankbar, dass es die IHK Frankfurt gibt. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Gleichzeitig zeigt sich: Es gibt es noch viel zu tun – gerade vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, einer instabilen Weltwirtschaft unter Trump und der sich zuspitzenden Klimakrise mehr denn je.
Vielleicht liegt in der aktuellen Konstellation eine besondere Chance: Die Kombination aus dem im letzten Jahr wiedergewählten IHK-Präsidenten Ulrich Caspar und dem neu ernannten IHK-Geschäftsführer Dr. Clemens Christmann könnte Kontinuität und Innovationsgeist verbinden.
Mein Wunsch für die Zukunft: Dass sich die IHK Frankfurt noch stärker als moderner, vielfältiger, kreativer und innovativer Impulsgeber für ein wirtschaftlich erfolgreiches und lebenswertes Frankfurt positioniert. Im Rahmen meines Ehrenamts und meiner Möglichkeiten werde ich meinen Beitrag dazu leisten – und hier über meine Erfahrungen berichten.