Charlotte in ihrem Atelier in Frankfurt.

Agenturen sind Auslaufmodelle

Ein Gespräch über den Wandel der Werbung

Sprache in Bilder zu packen ist ihre Stärke. Spannende Geschichten zu erzählen ebenfalls. Das merkt man schnell, wenn man Charlotte Popp zuhört. Die Drehbuchautorin für Unternehmensfilme versteht nämlich ihr Handwerk und mit fast 30 Jahren Werbeerfahrung weiß sie wie sich die Branche der Agenturen ändert.

An der Wand hängen Bilder und Artikel aus Magazinen und Zeitungen. Bunt, extravagant und zu kleinen Gruppen zusammengestellt. Das sind Anregungen für Charlottes zukünftige Projekte, die sie privat in ihrem kleinen Atelier mit Pinsel und Tusche verfolgen will. Bilder sind ihr Hobby, aber auch ihr Beruf. Die gelernte Kreativ-Direktorin arbeitet seit 1990 in der Werbebranche. Nach Studium in Frankfurt, Florida und New York war sie zunächst bei namhaften Agenturen angestellt. Bewusst entschied sie sich schließlich für die Freiberuflichkeit, erst im kleinen Team, heute als Solo-Selbstständige. Wir beide haben Charlotte je drei Fragen zum Wandel ihrer Arbeit in der Werbebranche gestellt.

Zeitungsartikel, Bilder und Werbemotive schmücken die Wände.
Zeitungsartikel, Bilder und Werbemotive schmücken die Wände.

Stefanie: Welchen Wandel nimmst du für dich beruflich war?

Ganz klar – heute genieße ich mehr Selbstbestimmung, und weniger Pflicht zur Erreichbarkeit. Ob als Angestellte oder im Zweierteam, immer wenn ich direkte Kunden betreute, musste ich extrem kurzfristig reagieren. Früher stand ich bei Notfällen direkt zur Verfügung. Ich erinnere mich an einen sonnigen Samstagmorgen, ich frühstückte auf meinem Balkon. Schließlich rief ein Großkunde an und ich musste schnellstmöglich ein Auftrag abarbeiten. Drei Tage später fand ich draußen die Müslischüssel und meine Kaffeetasse wieder. Dies war die Kehrtwende. Kurz danach änderte ich meine berufliche Situation. Heute bin ich meine eigene Chefin und entscheide mich bewusst für die Kooperation mit Agenturen und Produktionsunternehmen. Der geringere Kontakt zum Endkunden schenkt mir Freiheit. Natürlich gibt es auch heiße Phasen, wo Jobs, die längere Zeit in der Warteschleife hingen, auf einander prallen. Dann heißt es Zähne zusammenbeißen und durchhalten. Aber der wahre Wandel liegt in meinem eigenen Verhalten. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, Jobs abzulehnen oder meinen Auftraggebern klar zu kommunizieren, wann ich nicht verfügbar bin. Persönliche Termine, ob Physiotherapie oder langgeplante Ausflüge, fallen daher kaum aus.

Stefanie: Das hört sich nach stark wechselnden Tagesabläufen an. Gibt es Dinge, die dir sowohl in der einen als auch in der anderen Phase Struktur geben?

Eine gewisse Struktur zu haben ist wichtig. Als Selbstständiger sagt dir ja keiner, wann oder wie du zu arbeiten hast. Am Anfang fand ich es auch wahnsinnig verrückt mit Pyjama von der Couch für die großen Banken dieser Welt zu arbeiten. Irgendwann fühlst du dich aber selbst nicht mehr wohl. Ziemlich schnell habe ich mir die Regel aufgesetzt, dass ich um 9 Uhr morgens angezogen am Schreibtisch sitze. Etwas Struktur und Orientierung ist gut – auch in finanzieller Sicht. Wichtige Entscheidungshilfe, ob ich den nächsten Job annehme ist, neben der Frage ob er mich reizt, auch mein Kontostand.

Stefanie: Wir sehen viele ehemals große Agenturnamen schrumpfen und verschwinden. Wie würde man dich gegen den Trend zurück in die Festanstellung kriegen?

Das wird äußerst schwierig: die einzige Chance hätte einen Agenturchef (Charlotte schaut kurz zu Ingo und grinst), wenn mein Kontostand rapide sinkt. Natürlich vermisse ich ab und an die gute Zusammenarbeit unter festen Kollegen. Insbesondere konstruktive Rückmeldungen im strategisch-kreativen Bereich gaben mir immer Chancen für persönliche Entwicklung. Heute hole ich mir das Feedback gezielt von meinen Kooperationspartnern. Und um direktes Lob einzufahren, gehe ich so oft wie möglich mit zum Kunden und präsentiere meine Konzepte selbst. Da hole ich mir die Rückmeldung direkt ab – ist der Kunde zufrieden, ist das natürlich toll!

Ingo: Was müssten Arbeitsgeber tun um junge Kreative zu gewinnen?

Meine Erfahrungen aus der Lehre in Deutschland und in den USA zeigen mir, dass junge Kreative nicht mehr in die Agenturen wollen. Früher waren Nachtschichten in Werbeagenturen Prestige, heute sind Überstunden nicht mehr angesagt. Auch Geld ist kein Lockmittel. Manch eine Agentur bot ihren Nachwuchskräften an, kostenfrei an Kreativschulen in New York teilzunehmen. Sogar dies konnte junge Mitarbeiter nicht binden. Das Einzige, was Werbeagenturen junge Designer noch bieten, ist wertvolle Praxiserfahrung. Ansonsten sehe ich die klassische Agentur als Auslaufmodell: sie sind zu alt, zu starr. Und bei den Jungen ist Werbung ist nicht mehr cool.

Ingo (leicht irritiert): Die Agenturen sind also Auslaufmodelle? Welche deiner Beobachtungen passen noch zu dieser Tendenz?

Charlotte in ihrem Atelier in Frankfurt.
Charlotte in ihrem Atelier in Frankfurt.

Viele Unternehmen steuern ihre Werbeaktivitäten heute selbst und sie – oder die Einkaufsabteilung – suchen sich die passenden Dienstleister online oder offlinezusammen, um ein aktuell anliegendes Kommunikationsproblem zu lösen. Was dabei verloren geht, ist der echte kreativ-strategische Aufbau und die langfristige Entwicklung einer Marke. Das ist schade, aber wohl nicht zu ändern. Auf Kundenseite dominieren allzu häufig kurzfristige Erfolgsparameter über die langfristige Vision. Außerdem ist die Fähigkeit gute Ideen zu erkennen und diese mutig umzusetzen aus meiner Sicht nicht mehr besonders ausgeprägt. Das stellt die althergebrachten Agenturmodelle in Frage.

Ingo: Und wo siehst du deine Tätigkeit in ein paar Jahren?

Mittlerweile gibt es fast alles im Netz. Aber trotz der rasanten digitalen Veränderung wird es meinen Job auch noch in 20 Jahren geben. Denn Drehbücher schreiben verlangt Filmwissen, Kenntnisse über Produktionsbedingungen und ästhetisches Gespür. Die technischen Möglichkeiten werden es zwar den Unternehmen vereinfachen, günstiger und schneller Filme zu produzieren. Aber schaut man sich schon heute zehn Imagefilme von Firmen an, sehen neun davon gleich aus: todlangweilig. Filmisch zu erzählen und einen Spannungsbogen aufzubauen geht nicht auf Kopfdruck, das braucht Erfahrung.

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